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Die Modewelt nach Corona

Die Corona-Krise stößt auch die Modeindustrie in eine tiefe Krise. Der Stillstand in Produktion und Verkauf macht Angst. Menschen bangen um ihre Arbeitsplätze und Modelabel um ihre Existenz. Doch es gibt Stimmen, die eine bessere Welt prophezeien. In Zeiten der Ungewissheit scheint die Zukunft nicht mehr kalkulierbar. Sie ist zu einer Glaubensfrage geworden.

Bild: Flaunter


Und wenn jemand bei Zukunftsprognosen ein Wörtchen mitzureden hat, dann Li Edelkoort. Sie gehört zu den einflussreichsten Trendforscherinnen der Branche. Mit ihrem Anti-Fashion Manifest forderte sie bereits einige Jahre vor dem kollektiven Umweltbewusstsein eine nachhaltige Kehrtwende der Modelabels. Nun sieht sie die Corona-Krise als Chance, um neue Werte und Grundsätze zu etablieren. Der Wiederaufbau nach einer Zeit des Verzichts und der Entbehrungen mache ihr Hoffnung auf ein besseres System, in dem die menschliche Arbeit respektiert wird. Die Quarantäne vom Konsum soll nun endgültig zum Umdenken führen. „Wir sollten dankbar für das Virus sein (…)“, sagt sie dem Quartz Magazin.

Weniger dankbar sind wohl Marken wie Tom Tailor, Laura Ashley und Esprit, die nun mit der Insolvenz kämpfen. Auch Versandriesen wie Otto und Zalando straucheln. Mode wird in diesen Tagen in die Bedeutungslosigkeit verbannt. Im März ging die Onlinenachfrage im Bereich Kleidung um knapp 27 % zurück. Der stationäre Handel leidet noch stärker.

„Gerade wurden die Sommerkollektionen ausgeliefert. Wir sitzen auf einem riesigen Haufen Kleidung und auf einem noch größeren Schuldenberg. Ohne Einnahmen kann ich die offenen Rechnungen nicht bezahlen“, erzählt eine Einzelhändlerin aus Berlin. Seit 13 Jahren besteht das Geschäft in Prenzlauer Berg. Weder sie noch ihre sieben Mitarbeiterinnen verdienen jetzt Geld. Ein Schicksal, das Tausende ereilt.

Doch auch der deutsche Trendforscher Matthias Horx träumt von einer besseren Welt. In seiner Kolumne beschreibt er in Folge 48 wie nahezu jeder Lebensbereich durch Corona verbessert werden könnte. Der Wein schmeckt besser, die Menschen rücken näher zusammen, es gibt eine Renaissance des Handwerks und nebenbei wird auch noch Trump abgewählt. Dem kleinen Virus wird ziemlich viel Verantwortung auferlegt. Plötzlich soll es die Welt von allem Schlechten befreien.

Aber es sind die Menschen, die nun erstmal Lösungen liefern müssen. Improvisationstalent ist gefragt. Die Modebranche will auf keinen Fall den Kontakt zum Kunden verlieren. Viele Label sind zu wahren Entertainmenthäusern geworden. Bottega Residency ist die digitale Antwort des Labels Bottega Veneta auf die Krise. Sterneköche geben online Kochstunden, der Kreativ-Direktor des Hauses verrät Inspirationsquellen und dazu gibt es noch die passende Spotify-Playlist. Beim nachhaltigen Unternehmen Ecoalf werden derweil Yoga- und Kochkurse abgehalten und das Hamburger Label Closed bietet eine ebenso vielfältige Workshop- und Unterhaltungsreihe an. Langweilig wird es in der Quarantäne nicht. Die Vorhersagen haben sich insofern bewahrheitet, dass nun viele mit kreativem Pioniergeist zur Tat schreiten.

Doch an die Schwächsten wird in diesem Notfallplan nicht gedacht. Während wir Serien suchten und uns zu Facetime-Abenden verabreden, ist das andere Ende der textilen Lieferkette existenziell bedroht. In Bangladesch gingen die Einnahmen in der ersten Aprilwoche im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 77 % zurück. In den Produktionsländern bestehen selten ausreichende soziale Sicherungsnetze. Die Arbeit ruht und das bedeutet vielerorts den Verlust jeglicher Lebensgrundlage. Man fragt sich, wie Edelkoort an ein gerechteres System glauben kann, während die Akteure der Branche sich häufig weigern, bereits entstandene Material- und Produktionskosten zu bezahlen. Laut Center for Global Workers‘ Rights verweigern in Bangladesch mehr als 91 % der Auftraggeber die Zahlungen. Solidarität sieht anders aus. Nach Monaten von massiven Umsatzeinbrüchen wird die Branche wohl kaum Geld für gerechtere Löhne in die Hand nehmen. Dieser Forderung wurde schon in rosigeren Wirtschaftslagen nicht nachgegeben.

Was von der fröhlichen Zukunftsmusik der Trendforscher übrig bleibt und sich in der Realität behaupten kann, bleibt fraglich. Doch wir brauchen diese positiven Denker. Der Pessimist zeigt auf, was schiefläuft, doch der Optimist kann zur Lösung beitragen. Beide Seiten haben eine Existenzberechtigung in der Welt nach Corona.

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