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Mit PR-Arbeit gegen Depressionen | Diana Doko im Interview

Zusammen mit ihrem Kollegen gründete Diana Doko den Verein Freunde fürs Leben e.V. Beide arbeiten als PR-Berater, beide verloren geliebte Menschen durch Suizid in Folge von Depressionen. Im Alter von 21 Jahren nahm sich der Bruder der Mitgründerin das Leben. Dass dies ein großes Tabu-Thema ist, weiß sie daher aus eigener Erfahrung. Schuld daran seien vor allem fehlende Aufklärung und eine Politik, die die Augen verschließe. Deshalb macht sich der Verein die eigene PR-Expertise zunutze, um Projekte vom Flashmob bis Podcast auf die Beine zu stellen. Das Ziel: Mehr Bewusstsein für psychische Krisen schaffen. Diana Doko erzählt, wie der Verein arbeitet und warum sie noch lange nicht zufrieden ist.


Wie viele Mitstreiter engagieren sich insgesamt im Verein? Und wie kann man sich das Depression-Vereins-Leben vorstellen?

Im Verein selbst sind wir nur zu sechst. Allerdings haben wir ein ziemlich großes Netzwerk aus Unterstützern.

Ich bin immer mittwochs im Vereinsbüro. Dann sprechen wir über unsere Projekte. Zusammen überlegen wir uns den Redaktionsplan für unsere Online-Kanäle wie Instagram und Facebook. Soll es im Dezember einen Adventskalender geben? Wie soll das Konzept aussehen? Und natürlich brauchen gerade unsere YouTube-Videos und der Podcast viel Vorbereitung. Neben der Gestaltung der Inhalte, gehört auch sehr viel Lobbyarbeit dazu. Ich treffe Politiker und Entscheider, um für unser Anliegen Gehör zu finden. Eigentlich beschäftige ich mich in jeder freien Minute mit dem Verein.

Unser YouTube-Format „Bar-Talk“ ist beispielsweise eine wahnsinnig aufwendige Produktion. Durch Profis wie Sven Haeusler und sein Produktionsteam sieht das Ganze so genial aus. Oft denken Zuschauer deshalb, dass wir finanziell super aufgestellt sind, dabei machen sie das alles ohne Bezahlung. Der Verein lebt nur von Privatspenden. Und leider sind Depressionen ein ziemlich unsexy Thema, das nicht gerade zu einer großen Spendenbereitschaft beiträgt.


Ihre Botschaft ist „Rede darüber.“ Nun reden sie selbst häufig über ihr familiäres Schicksal. Ist das noch Teil des Verarbeitens oder wühlt es nicht auch immer wieder auf?

Ich muss zugeben, dass es mich manchmal nervt, wenn Medien mich auf den Suizid meines Bruders ansprechen. Zu gern wird die Geschichte zum Auslöser unseres Engagements erklärt. Das Ganze kam durch den Suizid von Geralds Freundin zwei Jahre später ins Rollen. Durch unseren Austausch über unsere Erfahrungen. Wir haben erkannt, dass psychische Krankheiten ein Tabu-Thema in der Gesellschaft sind und es kaum Informationen gibt. Wir kommen beide aus der PR und wollten uns dem Thema annehmen. Der Verein entstand aus einer politischen Forderung heraus. Ich habe nach dem Tod meines Bruders eine Therapie gemacht. Ich mache das nicht, um mich selber zu therapieren. Dafür ist die Arbeit zu anstrengend. Jedes Jahr denke ich ans Aufhören, weil wir immer wieder gegen Wände laufen. Doch wir setzen uns einfach schon zu lange dafür ein, dass das Thema auf die gesundheitspolitische Agenda kommt. Wenn mich also etwas aufwühlt, dann vor allem die Ignoranz der Politik. Wir bekommen keine Förderung und auch sonst bewegt sich zu wenig.


Wie haben sie die Trauerphase erlebt und überlebt, ohne selbst psychisch krank zu werden?

Man muss sich helfen lassen. Jeden kann es treffen und jeder Mensch reagiert unterschiedlich auf schwere Situationen. Mein Bruder hat sensibler auf seine Umwelt reagiert. Ich bin bestimmt kein emotionsloser Mensch, doch mir können Probleme nicht so schnell etwas anhaben. Trotzdem bin ich nicht immun und wenn ich mal strauchle gehe ich auch heute noch zu meiner Therapeutin und versuche, so gut es geht, vorzubeugen. Ich achte auf mich und meine Gefühle. Es klingt abgedroschen, aber Sport oder Meditation helfen wirklich.


Seit 2001 wollen Freunde fürs Leben mehr Akzeptanz für die Tabu-Themen Suizid und Depressionen in der Öffentlichkeit erzeugen. Können sie eine Entwicklung in der öffentlichen Debatte erkennen?

Durch unsere Arbeit an Schulen haben wir gemerkt, wie schlecht es um das Wissen über die Erkrankung steht. Selbst Erwachsene wissen nicht, woran man Depressionen erkennt, geschweige denn an wen man sich wenden kann. Die Debatte wird immer medial begleitet, sobald sich ein Prominenter das Leben nimmt. Kurze Zeit später wird es dann wieder still. Niemand will das Thema so wirklich anpacken.

Mal ein aktuelles Beispiel: Gerade ist der Film Auerhaus in die Kinos gekommen. Im Film werden auf humoristische und trotzdem treffende Weise Depressionen behandelt. Ich war so begeistert, dass ich der Produktionsfirma geschrieben habe. Eine Zusammenarbeit für mehr Aufklärung wäre so passend gewesen. Doch wir erhielten eine Absage, da sie sich nicht öffentlich zu dem Thema äußern wollten. Mal wieder wird es angerissen, ohne konsequent etwas ändern zu wollen.


Inwiefern helfen ein paar Videos, Instagram-Posts und Podcasts den Betroffenen?

Naja, das hat sich so Schritt für Schritt entwickelt. Wir haben damit angefangen, kostenlos für die Organisation Neuhland, die sich in der Suizidprävention engagiert, Plakate zu gestalten. Dann ist uns aufgefallen, dass es gar keine Webseite zu dem Thema gibt, auf dem Betroffene schnell und übersichtlich Informationen bekommen. Also gestalteten wir eine Seite. Doch das Nutzungsverhalten hat sich verändert. Jugendliche surfen weniger im Internet, verbringen lieber Zeit auf YouTube. Es folgte also ein Videokanal und immer so weiter. Mittlerweile bekommen wir wahnsinnig viele Nachrichten, täglich. Das zeigt mir, dass der Bedarf da ist. Die Menschen wollen sich austauschen, mehr darüber wissen. Das Feedback beweist, dass unsere Arbeit wichtig ist.


In der Altersgruppe 15 bis 29 Jahre ist Suizid die zweithäufigste Todesursache. Sie arbeiten als Dozentin für Marketing und PR in Berlin, kommen also selbst mit vielen jungen Menschen in Kontakt.Warum ist diese Altersgruppe so gefährdet?

Durch meine Tätigkeit an der Uni merke ich: Es ist einfach zu viel. Alles. Nicht unbedingt nur das Lernen, sondern zu viel Party, Ausgehen, Drogen. Ich war auch mal jung und damals sind wir weniger mit gesellschaftlichem Druck konfrontiert worden. Es ist eine Überforderung auf vielen Ebenen. Diese Generation bekommt wahnsinnig viel Input von außen. Dauernd muss man präsent sein – auch medial. Dazu kommt eine Zukunftsangst, die von Erwachsenen zusätzlich genährt wird. Da erzählt mir doch tatsächlich gestern eine Studentin, dass eine Kollegin vom Aussterben des Journalismus spricht. Was soll das? Unsere Aufgabe ist es, Ängste zu nehmen und Bock auf die Arbeitswelt zu machen.


Depression und Burn-Out sind auf der einen Seite in aller Munde, fast ein Trend-Begriff. Gleichzeitig aber auch Tabu-Thema. Wie kommt es zu dieser Ambivalenz?

Das frage ich mich auch. Auf der einen Seite beschäftigen sich gerade alle mit Selfcare, Selbstliebe, Yoga und auf der anderen Seite fällt es doch ganz schön schwer, über die eigenen Gefühle zu reden. Ich kenne das selbst, wenn man mit Freunden Essen geht. Eigentlich erzählt jeder nur, wie toll gerade alles läuft. Vor allem in der Medienbranche. Ich war mal Gast bei einem Event für Frauen in Führungspositionen. Dort habe ich bei einer Talkrunde erwähnt, dass ich noch nach einem neuen Job suche. Im Raum war es totenstill und nach der Veranstaltung kamen all diese Unternehmerinnen und sprachen davon, wie mutig ich doch sei. Eine Frau riet mir sogar davon ab, so etwas öffentlich zu sagen. Man verliere den Respekt vor mir. Da war mir mal wieder klar: Alle sind so sehr auf ihren Marktwert bedacht, dass wir Rollen spielen, die gar nicht der Realität entsprechen.


Unter den ihren Instagram-Posts liest man immer wieder Kommentare von offensichtlich psychisch angeschlagenen Menschen. Oft scheinen sie zu glauben, bei Euch Hilfe finden zu können. Wie geht der Verein damit um?

Natürlich beschäftigen wir uns mit den Kommentaren auf unseren Kanälen. Wenn der Eindruck entsteht, dass jemand Hilfe benötigt, schreiben wir aber lieber die Person direkt an. Dies öffentlich in den Kommentarspalten zu tun, halte ich nicht für richtig. Bei Suizidankündigungen verständigen wir sofort die Plattformen, die dann die Polizei alarmieren. In wenigen Minuten kann anhand der Serverdaten ausgewertet werden, woher der Post stammt. Ansonsten wollen wir aber vor allem einen Austausch untereinander fördern. Eine Belehrung von oben herab hilft da nicht weiter.


Den Verein gibt es seit 2001. Im Jahr 2003 entstand das Deutsche Bündnis gegen Depressionen. Prominente Persönlichkeiten, wie beispielsweise Samy Deluxe und Sarah Connor, sprechen öffentlich über Therapie-Erfahrungen. Machen wir in Deutschland nicht schon einen ganz guten Job? Braucht es da noch eine staatliche Kampagne?

Nein! Wir machen gar keinen guten Job! Es existiert nicht einmal das Grundwissen, ab wann man wohin gehen sollte, um Hilfe zu bekommen. In Deutschland werden super schnell Antidepressiva verschrieben und leichtfertig Diagnosen gestellt. Und warum wird an der Schule meines Sohnes über Alkohol- und Drogenmissbrauch aufgeklärt, aber nicht über psychische Krankheiten? Dabei stehen Abhängigkeiten in sehr engem Zusammenhang mit mentaler Gesundheit. Bei der Bundeszentrale für gesundheitlicher Aufklärung gibt es bis heute keine Aufklärungsmaterialien. Das ist absurd.


Haben sie schon neue Projekte ins Auge gefasst? Was möchte Freunde fürs Leben e.V. 2020 erreichen?

Auf jeden Fall. Ich möchte unbedingt einen Beitrag in einer geschlossenen Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie produzieren, um zu zeigen, wie schön so eine Einrichtung sein kann. Die Angst und Vorurteile bei Klinikaufenthalten sollen kleiner werden. Aber für das Projekt braucht es einfach ein bisschen Geld. Und mit unserem neuen Instagram-Konzept würde ich gern den Online-Grimme-Award gewinnen. Das sind unsere Wünsche für das kommende Jahr.

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